Meine Zukunft und eine Zugfahrt durch Deutschland: Eine Allegorie

6.01.2020: Im Zug irgendwo auf halber Strecke zwischen Berlin und Köln. 

Die Mitte Deutschlands scheint im Vorbeifahren doch recht trist und einfallslos. Lauter Einfamilienhäuser mit nichtssagenden Vorgärten und verlassene Aral Tankstellen. Hinzukommt die Tatsache, dass ich mit dem Blick entgegen der Fahrtrichtung sitze wodurch es so scheint als würde mir die gesamte Szenerie nach und nach entgleiten. Und während die Frau mir gegenüber „Saphirblau“ von Kerstin Gier liest, ziehen Städte wie Hannover und Bielefeld an mir vorbei und ich hänge mal wieder in einer Schleife aus Melancholie, Zukunftsängsten und Prokrastination. Die Melancholie lässt sich hierbei einfach erklären: Zugfahrten im Winter, lauter verlassene Bahnhöfe, der graue deutsche Vormittagshimmel und dazu Fleetwood Mac auf den Ohren. Die Zukunftsängste und das Prokrastinieren sind hingegen grundlegende Eigenschaften, die zu der Rolle einer mittzwanzigjähringen Studentin dazu gehören, wie schlechter Filterkaffee zum DB Bistro Kaffeeautomaten. Gefühle der Verunsicherung in Bezug auf die eigene Zukunft sind in meinem Freundeskreis in den letzten Jahren so omnipräsent geworden, dass wir sie inzwischen einfach als Teil unserer Persönlichkeiten aufgenommen haben und erst gar nicht mehr versuchen uns gegen sie zu wehren. Sie sind sogar so sehr verflochten in mein tägliches Ensemble aus Gefühlen und Gedanken, dass es mich jedes Mal kalt erwischt, sobald ich jemandem in meinem Alter begegne, mit exakten Plänen für die eigene Zukunft. Beklage ich jedoch die vielen Möglichkeiten und offenen Enden, die mein bisheriger Lebenslauf produziert hat in Gegenwart eines Familienmitglieds oder Kollegen, sagen wir über 40, folgt immer die gleiche standardisierte Reaktion: Ob ich denn nicht wüsste wie gut ich es habe? Ob ich lieber an eine bestimmte Rolle gebunden wäre? Ob ich denn nicht wüsste wie viel besser mein Leben heute ist, vor allem als Frau? Natürlich weiß ich das, das ist ja das frustrierende daran. Ich bin genervt und überfordert von etwas, für dass ich eigentlich dankbar sein möchte – dankbar sein müsste. 
Eben habe ich mehr schlecht als rechte versucht über das Wlan im Zug eine Folge Gilmore Girls zu streamen. Ich bin schon ganz am Ende, gerade hat Rory Gilmore eine Absage für ihren Traumjob bei der New York Times bekommen und gibt ihrer Mutter die Schuld, dafür dass diese ihr immer versichert habe sie könne alles schaffen. Natürlich scheint Lorelai Gilmores Erziehungsmethode hinsichtlich dem Selbstbewusstsein der eigenen Tochter völlig richtig und doch kann ich mit steigendem Alter und Studienverlauf den Standpunkt Rorys verstehen. Natürlich bin ich dankbar für mein Abitur und die Möglichkeit zu studieren wonach mir beliebt, versteht mich nicht falsch, aber seien wir mal ehrlich; Ein Bachelor in Sozialwissenschaften und ein halber Master in Soziologie geben einem nicht gerade das Gefühl auf die eigene Zukunft vorbereitet zu sein. Das Problem ist, dass sich die Möglichkeiten die das Leben als Teil der globalen Gesellschaft bietet verändert und erweitert haben, nicht aber die Art und Weise wie wir mit diesen umgehen. Wenn ich noch einmal den völlig überholten Witz „dann fährst du also später mein Taxi“ hören muss, vergess‘ ich mich höchst wahrscheinlich. 

12:14 „Wir nähern uns mit großen Schritten der Stadt mit dem größten Fußballstadion Deutschlands“, erfolgt die Durchsage des Lokführers. Werden die Durchsagen überhaupt von den Lokführern und Lokführerinnen gemacht? Ich weiß es nicht und es interessiert mich ebenso wenig, wie das mit Dortmund und dem größten Fußballstadion. Trotzdem nehme ich für einen kurzen Moment die Kopfhörer ab, höre den Rest der Ansage und muss kurz lächeln. Es sind noch ungefähr eineinhalb Stunden bis Köln und grade kommt auch noch die Sonne raus. 
Die Aussicht auf meine Zukunft ist also ungefähr so wie mit dem Zug durch die Mitte Deutschlands zu fahren: Lauter verlassene Bahnhöfe und alte Gleise, die inzwischen ins Leere führen und trotz allem kommt man irgendwie durch.


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